Startconference09

Die Startconference09 gehört nicht zu den Konferenzen, die Wissenschaftlichkeit beanspruchen. Vielmehr folgt die Startconference der Zielsetzung, Hochkultur – z.B. Theater, bildende Kunst, Konzert, Oper, Ballet, Literatur – auf dem gegenwärtigen Entwicklungsstand ins Internet zu bringen, sowohl die Kulturschaffenden selbst als auch Kulturevents als auch Akteure und Institutionen, die Kulturschaffende vertreten, die z.B. definieren, was als Kunst anerkannt wird was nicht oder die Kunst finanzieren (vgl. dazu Pierre Bourdieu: “Die Regeln der Kunst – Genese und Struktur des literarischen Feldes” und Nina Zahner “Die neuen Regeln der Kunst – Andy Warhol und der Umbau des Kunstbetriebs im 20. Jahrhunderts”). Die Start09 versucht Antworten auf das konkrete Problem zu erarbeiten, dass Künstler und Musiker häufig aus ihrem Orchestergraben oder von ihrer Bühne in mittelmäßig gefüllte Zuschauerreihen blicken, die Zuschauer in vielen Säälen ausschließlich der Altersgruppe über 60 Jahre angehören, Museen und Galerien an vielen Tagen des Jahres leer bleiben, bildende Künstler nur bedingt Preise für ihre Werke erzielen können, die Organisatoren von Kulturevents mit der Schwierigkeit konfrontiert sind, ein breiteres Publikum über Avantgarden oder kleine Szenen von Stammgästen hinaus anzusprechen. Zugleich ist den Anbietern von Hochkultur bewusst, dass sich da draußen viele junge Leute befinden, die aufgrund ökonomischer, sozialer oder kultureller Barrieren vermutlich gar nicht erst soweit kommen, den Konzertsaal zu betreten oder die einfach andere Präferenzen haben und den Kulturschaffenden somit als Publikum verloren gehen. Gelingt es nicht, breitere Publikumskreise und jüngere Generationen für Hochkultur zu interessieren und als zahlendes Publikum in die Kulturstätten zu bringen, droht vielen Kulturschaffenden und Kulturbetrieben das Aus. Für die Metropolregion Ruhr, die mit ihrem Strukturwandel unter dem Druck wirtschaftlicher Globalisierung ohnehin schon sehr gefordert ist, wäre das eine fatale Entwicklung. Viele Hoffnungen richten sich in dieser Situation auf das Internet, weil das Netz die Chance bietet, hochwertige Inhalte zu verbreiten, die Anbieter von Hochkultur untereinander besser zu vernetzen und sich für die Zukunft ein neues Publikum aufzubauen, das den Fortbestand der Hochkultur sichert. Wie Dr. Wendel von den Duisburger Philharmonikern hervorhob, ist der Wert des eigentlichen Kulturgutes (z.B.ein philharmonisches Konzert) durch Übermittlung ins Internet in keiner Weise gefährdet, jede Wiedergabe oder Übermittlung ins Internet nur ein sehr schwaches des Konzertes sein kann; vielmehr kann ein Orchester hinzugewinnen, wenn mehr Leute in den Konzertsaal gelockt werden können. Eine Schwierigkeit liegt allerdings darin, die vielfältigen Möglichkeiten des Social Web und der Social Media (z.B. Internet auf dem Mobiltelefon) in der Weise zu nutzen, dass ein Künstler oder eine Kulturinstitution einerseits die gewünschten Adressatenkreise gewinnen und andererseits seine Position im Feld der Kunst langfristig verbessern kann, sich in den Augen derer, die Kunst definieren oder finanzieren, im Feld der Kunst nicht disqualifiziert. Es darf bezweifelt werden, ob den Kulturschaffenden und Kulturbetrieben mit Hinweisen geholfen ist, die ausschließlich auf Verkaufserfolge, Zugriffszahlen und quantitativ messbare Reichweitendaten hinauslaufen. Was hier geschaffen wird, ist wohl eher ein Interaktionsnetzwerk, ein Interaktionsangebot, aber längst noch kein Vertrauen. Von Vertrauen könnte unter Umständen gesprochen werden, wenn die Kulturschaffenden und Kulturbetriebe heute beginnen, als Prodnutzer regelmäßig Materialien (Werke bzw. Werkfragmente) ins Internet zu stellen, wenn sie für sich persönlich Erfolgserwartungen formulieren, Erfahrungen für sich selbst  dokumentieren und reflektieren, einen intensiven Austausch untereinander und mit ihrem Online- und Offlinepublikum pflegen, wenn sie in einem längerem Prozess ein Netzwerk relativ stabiler kooperativer Beziehungen aufbauen, und wenn sie in fünf Jahren aufgrund der umfangreichen Erfahrung, die sie bis dahin für ihren spezifischen Anwendungsbereich gesammelt haben, aus Überzeugung immer noch dabei sind.

Was war besonders gut? Ein Highlight war Christoph Breidenichs Vortrag über “Kommunikationsdesign und Web 2.0”, der die gestalterischen Aspekte von Web und Social Media hervorgehoben und den Unterschied zur Kunst verdeutlicht hat. Enthusiasmus pur haben Frank Tentler, Christoph Müller-Girot und Alfred Wendel in ihrem Vortrag über das dacapo-Weblog der Duisburger Philharmoniker übermittelt, das mit seiner Begeisterung für den Zauber der Musik und seinen einladenden Charakter Maßstäbe gesetzt und entsprechend hohe Resonanz erzielt hat. Aufschlussreich auch die Vorträge von Clemens Lerche (transmediale) “Der digitale Baukasten eines Festivals für die zeitgenössische Kunst und digitale Kultur”, eher provokant Benedikt Köhler und Jörg Blumtritt “Sliding down the hype cycle – Kunst und Social Media” und erfreulich Sabria DavidRotkäppchen 2.0 – Medienwandel und schrifliche Mündlichkeit”. Leider habe ich viele Vorträge verpasst, die parallel zu eigenen Aktivitäten oder zu Vorträgen stattfanden, die ich unbedingt hören wollte, z.B. Christian Henner-FehrDie unendliche Geschichte – Blogs in der Kulturkommunikation” und Henning KriegUrheberrecht und Web 2.0”. Dank der vorbildlichen Aufbereitung und Dokumentation mit Livestream, Vortragsvideos und Interviews mit den Sprechern bin ich aber hoffnungsfroh, die versäumten Vorträge nachträglich noch ansehen zu können. Insgesamt ist die Start09 nur ein Anfang, jedoch noch nicht die Antwort auf alle Fragen, die sich Kulturschaffenden stellen werden, wenn sie das Social Web ab sofort für ihre diversen Zielsetzungen nutzen. Sehr gut könnte ich mir vorstellen, dass Experten aus den Sozialwissenschaften, die z.B. Märkte für ästhetische Güter untersuchen, Kunst- und Kultursoziologie oder Techniksoziologie betreiben, bei zukünftigen Veranstaltungen dieser Art sehr hilfreiche Hinweise auf Grundlage ihrer Forschungsarbeiten geben könnten.

Für Konferenzteilnehmer und Interessierte hier meine Präsentation:

Diese Präsentation hat den Charakter einer Skizze. Sie bezieht sich auf einen gemeinsamen Aufsatz mit dem Titel „A framework for studying the Problem of Trust in Online Settings“ von Guido Möllering (MPIfG Köln) und mir auf, der im Jahr 2010 in einem englischsprachigen Sammelband zu Vertrauen und Technologie erscheinen soll. In dem Vortrag habe ich eine Anwendung unserer Überlegungen zum Themenfeld von Vertrauen und Internet auf die Problematik der Onlinepräsenz bei Kulturschaffenden und Kulturbetriebe versucht, die ich zuvor dargestellt habe. Der Hinweis auf die  wissenschaftlichen Publikation, die das Vertrauensproblem allgemeiner behandelt, wird rechtzeitig bekannt gegeben.

Eine Diashow zur Start09 hat @artistalma zusammengestellt.

UPDATE 27.09.09: Die Blogjournalisten sehen den Beginn einer neuen Spielkultur, der Kulturblogger attestiert der STart09 Serienreife und ruhrbusiness.on stellt heraus, dass nur richtig schwimmen lernt, wer sich tief ins Wasser begibt. Eine Aggregation der Berichte unter dem Stichwort #StART09 hat Frank Tentler zusammen gestellt.

UPDATE 30.09.09: Hier nun auch das Interview zum Vortrag, das die Start09 inzwischen ins Netz gestellt hat. Vielen Dank an die Organisatoren der StARTconference!

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