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Heitere Postkarten – ePost und De-Mail für mehr Vertrauen im Netz?

Das Telex war seinerzeit für mich ein Faszinosum: Eine geheimnisvolle Maschine, in die man Kurzmitteilungen eintippte. Der Fernschreiber zeichnete diese Nachrichten auf einem Lochstreifen auf und sandte sie mit einem dem Telefonnetz ähnlichem Direktwahlsystem rund um die Welt – rund um die Welt in Sekunden. Bestechend am Telex war die Sprache in Kürzeln, und mehr noch, wie der Lochstreifen durch die Maschine rappelte.  Oder das Telegramm. Ich erinnere mich nur an Telegramme mit frohen Botschaften: Hochzeiten, Kindsgeburten, Glückwünsche oder Grüße auf Schmuckkärtchen. Über Datenschutz und Sicherheit hat man sich keine Gedanken gemacht, allein das Tempo und die Bequemlichkeit standen im Vordergrund. Das Telex wurde in den 1980er Jahren vom Telefax verdrängt. Telegramm, Telex, Telefax, und auch die berühmte Telefonzelle haben längst Museumscharakter. Sie alle sind durch Internet, E-Mail und mobile Endgeräte verdrängt worden. Trotz des hohen SPAM-Aufkommens ist der Siegeszug der E-Mail ungebrochen. Das Medium E-Mail hat unsere Fähigkeit zur Verarbeitung unzähliger Nachrichten deutlich gesteigert. Mitten in diese E-Mail-Normalität platzen neue Angebote: Seit Mitte Juli hat die Deutsche Post AG ihr Angebot ePostbrief, am Start. In Konkurrenz dazu bieten Telekom, Web.de, GMX und andere Provider eine neue Variante der Digitalpost an. Dieses neue Angebot De-Mail soll Anfang 2011 bereit stehen. Eine Registrierung für die neuen Adressen ist bereits möglich. De-Mail ist ein Angebot des Bundes (siehe De-Mail beim BSI). In aktuellen Werbespots macht die Post große Versprechungen: „Wir bringen das Postgeheimnis ins Internet“, kündigt die Post in ihrem Werbespot an. Verbindlich, vertraulich und verlässlich soll die elektronische Kommunikation sein. Die Revolution der digitalen Kommunikation? Weiterlesen

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Die Generation Governance und der Kampf um Vertrauen oder Misstrauen im Internet (Teil 2)

Vertrauen, so ein verbreitetes Missverständnis, ist das Mittel der Wahl nur für Leute, denen die notwendige Cleverness für Misstrauen und der Wille zur Macht fehlt. Wer vertraut, muss wohl der naive unbedarfte Typ sein, der sich leichtgläubig auf jedes Geschäft einlässt, auf jeden SPAM-Brief hereinfällt, ungefiltert Informationen über sich im Netz preisgibt und am besten gleich noch den Freunden seine Passwörter mitteilt. Wer hingegen Macht hat, verfügt über Sanktionsmittel (z.B. Sicherheiten/Sanktionsgewalten im Streitfall). Vielfach wird auch von der „gesunden Skepsis“ gesprochen, die den Handelnden vor Ungemach bewahrt. Nur dass im „echten Leben“ jeder Kaufvertrag, jedes Kreditverhältnis, jede Finanzinvestition, jede Karriere, ja sogar jede Familiengründung scheitern kann. Die Governancegläugiben behalten sich vor, zunächst alles und jeden zu überprüfen, mögliche Katastrophen zu identifizieren, den Katastrophen Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen, damit mathematische Operationen durchzuführen und schließlich zu Entscheidungen zu kommen, welche auf die Vermeidung von Risiken zielen. Die Governancegläubigen wählen Handlungsstrategien, bei denen die Absicherung gegen Zahlungsansprüche, Schuldzuweisungen etc. und die Abwälzung von Unsicherheiten auf andere im Mittelpunkt stehen, und sie halten ihre prophylaktische Skepsis für klug. Weiterlesen

Die Generation Governance und der Kampf um Vertrauen oder Misstrauen im Netz (Teil 1)

Ich kenne eine Generation, die bildhaft vor sich sehen konnte, wie die Nationalsozialisten in ihrem Fanatismus, Menschenverachtung und Boshaftigkeit vom Establishment der Weimarer Republik unterschätzt wurden, und die sich erinnern, wo sie waren, als Göbbels für Hitler „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ ausrief. Manch wird sich sich noch an Sprüche wie „Wem der Himmel die Majorität der Tatkraft gegeben, dem hat er auch die Herrschaft gegeben“ (Adolf Hitler, 1927) oder „Es ist herrlich, in einer Zeit zu leben, die ihren Menschen große Aufgaben stellt“ (Hitler, 1933, zitiert bei Gunther Haupt und Werner Rust (Hg.) „Geflügelte Worte“, 29. Auflage, Berlin 1942, Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, S. 644) , oder auch „Nur wer gehorchen kann, kann später auch befehlen!“ erinnern können (Hindenburg, 1. Mai 1933, Berliner Lustgarten, zitiert bei beides zitiert bei Büchmann „Geflügelte Worte“, 29. Auflage, Berlin 1942, Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, S. 646). Dieser Generation heutiger Senioren wie Jürgen Habermas, Renate Mayntz, Papst Benedikt XVI, dem in dieser Woche verstorbenen Ralf Dahrendorf und vielen noch älteren oder inzwischen verstorbenen Menschen verdankt die Bundesrepublik Grundgesetz, soziale Marktwirtschaft, Wohlstand, günstige Bedingungen für die Deutsche Einheit und das vereinte Europa und ihr freiheitliches Bewusstsein. Und Vertreter dieser Generation im Familienkreis (*1911-2003) haben sich bei den Enkeln für ihre Verblendung und ihr Wegschauen in den Jahren vor 1945 entschuldigt. Sowas meine ich, wenn ich von Führung und Verantwortung spreche.

Heute sind wir mit einer Generation von Politikern und ‚Leistungseliten’ konfrontiert, die in dem Glauben lebt, die Gesellschaft durch ihre ‚Governance’ zu verbessern. Würde man die Gesellschaft ‚nur’ in der richtigen Richtung steuern, entstünden geordnete Verhältnisse, so ihre Überzeugung. Erführe Max Weber von ihren Steuerungsaktivitäten, er würde sich im Grab umdrehen. Ein Beispiel aus dem Bildungsbereich: Auf steigende Studentenzahlen in den 1990er Jahren haben Politik und Hochschulen nicht mit Berufung von mehr Professoren und Aufstockung des wissenschaftlichen Personals reagiert, sondern mit der Einführung der gestuften Studiengänge, mit Studiengebühren und Online-Anmeldungen für die einzelnen Lehrveranstaltungen geantwortet, in die häufig eine Begrenzung der Teilnehmerzahl eingebaut ist. Jetzt, wo man feststellt, dass Studierende vor allem auf Kreditpunkte bedacht sind, sich an den Inhalten desinteressiert zeigen, Lehrveranstaltungen wenig besucht sind, manche Studierende gar beim eigenen Referatstermin fehlen, Studienzeiten verlängert werden (Erwerbstätigkeit, Such-/Orientierungsphasen) und auch das proklamierte Ziel der Vergleichbarkeit der Studienleistungen fraglich ist, überlegen die Governancegläubigen nicht, wie man den Unsinn wieder los wird. Vielmehr führt man vor Ort z.B. schwarze Listen ein (Bestrafung der Studierenden). Eine Rückbesinnung auf ursprüngliche Inhalte und Lernziele bleibt bisher aus. Nun werden auch noch die Zielvorgaben verändert: Vorgegeben wird Formalziel des international vergleichbaren Bildungszertifikats von Bachelor oder Master nach dem Bologna-Abkommen, Studierende sollen an ihrer ‚Employability’ arbeiten.

Wir haben nicht zu befürchten, schrieb Max Weber schon in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts, dass wir mal Zuviel „Individualismus“ und „Demokratie“ haben werden. Dafür würde die Bürokratie in Staat und Wirtschaft schon sorgen. Im Zusammenwirken erschaffen die Akteure das stahlharte Gehäuse der Hörigkeit, das sich sämtlicher Bereiche des Lebens bemächtigt: Angesichts der Übermacht der Tendenz der Bürokratisierung hat Weber bezweifelt, ob sich irgendwelche Reste von Individualität und individualistischer Bewegungsfreiheit retten lassen. Die wachsende Unentbehrlichkeit und Hegemonie der Fachexperten ist ein Schreckenszenario für Weber, und er hat gewarnt, dass es gesellschaftliche Instanzen geben muss, welche diese Schicht wirksam kontrolliert (Max Weber, „Wirtschaft und Gesellschaft“ 1922/1980, Tübingen: Mohr, S 834-837).

Seit einigen Jahren hat die Generation Governance nun auch das Internet als Betätigungsfeld entdeckt, z.B. für die Bekämpfung des Terrorismus, den Schutz des geistigen Eigentums und für den Schutz der Opfer aus Sexualstraftaten. So hat der Bundestag auf Initiative der Familienministerin Ursula von der Leyen 18.06.09 mit der Stimmenmehrheit von 389 Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen 128 Stimmen aus der Opposition ein Gesetz verabschiedet, welches kinderpornographische Inhalte mit einem Stopp-Schild versieht. Dies tat sie, obgleich nachgewiesen ist, dass die Inhalte durch eine Sperrung nur mit einem Vorhang versehen werden, sich die Sperren umgehen lassen, wissenschaftliche Untersuchungen über die Auswirkungen von Sperrlisten aus anderen Nationalstaaten fehlen, die Missbrauchsopfer die Löschung der kinderpornographischen Inhalte und die Strafverfolgung der Täter fordern. Dafür wischt die Regierung eine ePetition mit 134014 Mitzeichnern vom Tisch, die ebenfalls die Löschung anstelle der Sperrung von Onlineinhalten fordern. Dafür beugt das im Grundgesetz verankerte Recht auf Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit. In ihrer Begründung schreiben Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, wie u.a. die Musik- und die Filmindustrie mit ihren Prozessen immer wieder aufs neue beweisen.” – als ob das Internet jemals ein rechtsfreier Raum gewesen und das geltende Recht der Nationalstaaten, wo die Server stehen, irrelevant wäre! Die Urteilsfähigkeit über Online-Inhalte, welche die Bundesregierung den Internetnutzern nicht zubilligt, überträgt hat der Gesetzgeber mit dem Gesetzesbeschluss dem Bundeskriminalamt übertragen, also einer Polizeibehörde, welchem sie ein Expertengremium zur Seite stellt, dessen Kompetenzen unklar bleiben (siehe Antwort der Bundesregierung auf kleine Anfrage der FDP-Fraktion). Auf den Nachweis, dass es Privatpersonen (Alvar Freude vom AK Zensur) gelungen ist, die effektive Löschung kinderpornographischer Inhalte zu veranlassen, hat die Bundesregierung nicht mehr zu anzubieten als den Hinweis auf ihre guten Absichten zum Schutz wehrloser Kinder. Weiterlesen