Diesen Beitrag habe ich vor einiger Zeit für den Newsletter des Max Planck Instituts für Gesellschaftsforschung 03/09 geschrieben. Den Newsletter mit dem Schwerpunkt“Globalisierung und transnationale Governance“ und einem Forscherportrait über Renate Mayntz könnt Ihr hier erreichen.
Wissenschaftsweblogs, Wikiwebs, Microblogging, Social-Networking-Plattformen speziell für Wissenschaftler, aber auch die älteren Formen der Wissenschaftskommunikation wie Newsgroups, Foren, Chats und Mailinglisten sind Kommunikationsakte, die zwischen der Welt der internen und der Welt der externen Wissenschaftskommunikation angesiedelt sind. Sie ermöglichen dem einzelnen Wissenschaftler oder einer Forschergruppe, direkt – also ohne Gatekeeper – und niederschwellig – also ohne nennenswerte technische Hürden – mit Fachkollegen, Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen und einer breiteren Öffentlichkeit zu kommunizieren. Sie schaffen eine diskussionsfreudige Öffentlichkeit zum Gegenstandsbereich, reflektieren den Forschungsprozess, greifen thematisch relevante Ereignisse auf und holen Feedback ein.
Die Trennung zwischen Wissenschaft und Journalismus wird hier aufgehoben. Wissenschaftler treten mal als Forscher auf, mal lösen sie sich aus dem gewöhnlichen Arbeitszusammenhang und schreiben ähnlich wie Journalisten über Entwicklungen einer Fachdisziplin, eine Tagung oder Ereignisse aus dem aktuellen Zeitgeschehen. Die Begeisterung für den Forschungsgegenstand und die Fachdisziplin ist ein Grundmotiv für Wissenschaftsblogger. Damit erschaffen Wissenschaftler neue Genres der öffentlichen Kommunikation über Wissenschaft und der wissenschaftlichen Reflexion von Themen aus dem Alltag.
Am MPIfG gibt es bislang zwei Weblogs:
„Governance Across Borders“ und „Economic Sociology“. Sigrid Quack und ihre Mitautorinnen und -autoren aus der Forschergruppe „Governance Across Borders“ bloggen über die Zusammenhänge von globaler, supranationaler und nationaler Steuerung, die sich vermehrt auf das Wirtschaftsleben, auf die Strukturmuster sozialer Solidarität und auf sozialkulturelle Prozesse auswirken. Die Autoren diskutieren über Themen wie Urheberrecht und Creative Commons, Finanzmarktkrise, Arbeitsmarktstandards, Mikrokredite, Umweltschutz, politische und soziale Bewegungen. Sie verzichten dabei weitgehend auf theoretische Abhandlungen und Theoriebezüge, die nur für eine Fachleserschaft verständlich sind.
Die Weblog-Aktivität der Forschergruppe dient auch der Reflexion der eigenen Forschungstätigkeit und der Ausformulierung solcher Ideen, die spannend sind, aber aus zeitlichen oder sachlichen Gründen nicht als formale wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht werden können.
Governance Across Borders ist ein sehr aktives, eigenständig geführtes Gruppenblog mit regelmäßigen Einträgen und zahlreichen Kommentaren, das der informellen Konversation der Forschergruppe im öffentlichen Raum dient und somit allen Interessierten ein Fenster zum Projektkontext öffnet. Damit sind ideale Voraussetzungen für eine immer weiter reichende Vernetzung in der Wissenschaftsblogszene und der journalistischen Weblogszene gegeben. Governance Across Borders regt dazu an, sich mit Erscheinungsformen und sozialen Konsequenzen von Institutionen, ihrem Wandel und ihrem Versagen zu beschäftigen und die soziale Relevanz von Institutionen zu reflektieren. Zuletzt ist es zum „Featured Blog“ der internationalen Konferenz der Society for the Advancement of Socio-Economics (SASE) im Juni 2010 in Philadelphia, USA, gewählt worden.
In ihrem Weblog „Economic Sociology“ schreibt Brooke Harrington über die sozialen Hintergründe von Märkten und Geldwirtschaft für eine junge Leserschaft auf College- bzw. Universitätsniveau. Die Beiträge sind einerseits sehr lebensnah gehalten und andererseits mit den Theorien von Marx, Simmel, Durkheim, Foucault und vielen anderen Soziologen verknüpft. Dadurch sind sie auf zwei Ebenen lesbar: Für Nichtwissenschaftler sind die Beiträge aufgrund ihrer Handlungsrelevanz und des im Alltag von allen geteilten Erfahrungshorizonts verständlich, für Leser mit Soziologie-Kenntnissen und Wissenschaftler kommt die Ebene der soziologischen Reflexion hinzu. Das macht Brooke Harringtons Weblog zu einem handlungstheoretischen Weblog im besten Sinn.
Economic Sociology beschäftigt sich mit dem Kollaps der Finanzmärkte, den Erscheinungsformen und Folgen globaler Finanzmärkte wie zum Beispiel den Bonuszahlungen im Bankwesen, den Investmentclubs für Privatanleger und der Illusion der Sicherheit von Finanzanlagen, den Annehmlichkeiten einer Krankenversicherung europäischen Typs, aber auch mit der befremdlichen Kundenverdrossenheit deutscher Unternehmen. In einem Gastbeitrag betreibt Galyn Burke-Brown eine Wirtschaftssoziologie des Triathlonsports: Sie zeigt die sozialen Mechanismen auf, nach denen sich Triathleten als selbstselektive, wohlhabende Gruppe hochgradig motivierter, leistungsbereiter und wettbewerbsorientierter Individuen aus den oberen Schichtungssegmenten der Gesellschaft zusammenfinden. Anders als die Gruppe Governance Across Borders bloggt Brooke Harrington allein, lädt jedoch Gastautoren ein und ist im Verbund des „Contexts“-Magazins der American Sociological Association (ASA) mit anderen Weblogs aus verschiedenen Teilgebieten der Soziologie verknüpft.
Governance Across Borders und Economic Sociology sind zwei gute Beispiele dafür, wie Wissenschaftler zeitgemäße Social-Media-Aufritte gestalten können. Im „Web 2.0“ wird vom Internetauftritt eines Wissenschaftlers bedeutend mehr erwartet als lediglich eine statische Homepage mit wenigen personenbezogenen Angaben. Entscheidend ist qualitativ hochwertiger Inhalt in Form von Textbeiträgen, Fotos, Folienpräsentationen, Audio- oder Videobeiträgen, Livestream oder Twitter-Meldungen – oder als Kombination verschiedener Formate, die parallel in dynamische Nachrichtenströme eingespeist werden können. Hinzu kommen Open-Access-Publikationen, Interviews bei Presse, Rundfunk oder Fernsehen sowie Beiträge für überregionale Tageszeitungen. Selbstverständlich kann eine einzelne Wissenschaftlerin oder ein einzelner Wissenschaftler nicht alle Kanäle bedienen. Doch hier bietet sich die Möglichkeit, mit geringem Aufwand und zu minimalen Kosten für diejenigen zu öffnen, für die Wissenschaftler arbeiten: die Gesellschaft, über die und für die Sozialwissenschaftler forschen.
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