Bringt der Klimagipfel von Kopenhagen neue Spielregeln für Märkte?

Der Klimagipfel von Kopenhagen bringt eine öffentliche Aufmerksamkeit für die Problematik von globaler Erderwärmung, CO2-Emissionen und den Lebensbedingungen für unsere Kinder und Enkel mit sich wie man das seit Jahren nicht mehr erlebt hat. Das Nachrichtenaufkommen, aber auch das Blog- und Twitteraufkommen sind deutlich angestiegen. Zugleich erleben wir eine erhebliche Verschärfung der Tonlage im Klimadiskurs: Ist der Mensch schuld am Klimawandel? Oder ist der Klimawandel schlicht eine Erfindung von Panikmachern?

Angeheizt wurde die Debatte, als zwei Wochen vor Beginn des Klimagipfels Hacker prominente Klimaforscher in Erklärungsnot gebracht haben. Die geknackten Dokumente enthielten Lästereien unter Kollegen und Andeutungen über Datenmanipulationen. Hacker hatten den Server der Universität von East Anglia in Norwich geknackt. Sie haben private E-Mails und Dokumente erbeutet und weiterverbreitet, schreiben Spiegel und AP. So ist zum Auftakt des Klimagipfels ein erbitterter Streit entbrannt zwischen Klimawandel-Skeptikern auf der einen und engagierten Klimaforschern und Klimaschützern auf der anderen Seite. Um ihre politischen Ziele durchzusetzen, beanspruchen beide Extrempositionen das Wahrheitsmonopol. Der Welt steht eine Katastrophe bevor, warnen die Alarmisten. Die These von der Erderwärmung ist Betrug, behaupten die Skeptiker [FAZ]. Der Kampf um die Wahrheit über das Klima zwischen Alarmisten und Skeptikern ist zu einem Medienkampf geworden, der nicht zuletzt mit den Mitteln des Internet ausgefochten wird. Beiden Seiten geht es um die öffentliche Meinung und anstehende Wahlen. Wie hier am Beispiel von Gerhard Schulzes Beitrag „Was ist eigentlich normal?“ [WELT], den Beiträgen des Klimaforschers Georg Hofmann „Klimaschmock des Monats November“ und „Der Anfang vom Ende des Klima Hoax“ [Scienceblogs] zu sehen ist, nimmt die öffentliche Debatte um den Klimawandel skurrile Züge an, die nichts mehr mit Wissenschaftlichkeit zu tun haben [WELT, Klimazwiebel, Statistical Modeling, Causal Infrerence and Social Science]. Das Rauschen im Medienwald dient natürlich ebenfalls dazu, Einfluss auf Verlauf und Ergebnis der Klimakonferenz in Kopenhagen zu nehmen. So steigt auch auf der Konferenz selbst der Druck: Drinnen tagen die Delegationen aus 192 Staaten. Vor der Tür stehen die Protestler, die der Forderung für eine rigorose Neuordnung zugunsten kommender Generationen Nachdruck verleihen wollen, und im Umfeld des Klimagipfels tummeln sich die üblichen Verdächtigen.

Man muss kein Klimaforscher sein, um sich vorzustellen, weshalb Druck im Kessel ist. Am Kopenhagener Verhandlungstisch werden fundamentale institutionelle Voraussetzungen für das globale Wirtschaften im 21. Jahrhundert definiert, die, wenn sie einmal verabschiedet sind, unabänderlich Bestand haben. Betrachtet man Märkte als organisationale Felder, die einen Machtpol haben, mit vielen Wirtschaftsakteuren, die einerseits um dominierende Positionen in der Nähe dieses Machtpols kämpfen, andererseits auch Tausch und Kooperation betreiben, institutionellen Regeln folgen und auf gemeinsam geteilte Wissensbestände zugreifen, kann ein verbindliches Klimaabkommen dazu führen, dass neue Märkte und Technologien rund um erneuerbare Energien, Recycling und umweltfreundliche Lebensführung einen Entwicklungsschub erfahren, während andere Märkte, die auf dem Abbau und der Verwertung fossiler Brennstoffe basieren, weniger wichtig werden oder gar an ihr historisches Ende gelangen.

Der Entwurf der Vereinten Nationen sieht eine verbindliche Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad und eine der CO2 Emissionen um bis zu 95 Prozent bis zum Jahr 2050 vor. Wird dieser Entwurf verabschiedet, kommt es zu erheblichen Verschiebungen der Akteurskonstellationen auf allen Märkten. Die Wirtschaftsakteure, die von der Conception of Control des „Weiter So!“ profitieren, nämlich all die Unternehmen, die ihr Einkommen aus dem Abbau, dem Handel oder der Verwertung fossiler Brennstoffen beziehen, ihre Anteilseigner sowie die Eigentümer an Fundstellen fossiler Brennstoffe, werden aus ihrer dominierenden Position verdrängt. Ihre Herausforderer, also die Wirtschaftsakteure, die direkt oder vermittelt auf erneuerbare Energien, Recycling oder Energiegewinnung aus Abfällen, neue Mobilitätskonzepte sowie eine allgemeine umweltfreundliche Lebensführung setzen, werden profitieren. Eine neue „Conception of Control“, also ein gemeinsam geteiltes Wissen über die Spielregeln am Markt und darüber, was es braucht, um sich erfolgreich am Markt zu positionieren, Herausforderer (Challenger) in einer unbedeutenden Position zu halten oder aus dem Feld zu schlagen, wird durchgesetzt.  Dann stehen Umweltfreundlichkeit, Nachhaltigkeit und soziale Mindeststandards im Zentrum einer neuen ökologischen „Conception of Control“ . So gesehen könnte Kopenhagen Entwicklungsimpulse für Märkte wie z.B. Solartechnologie, Recyclingwirtschaft, Emissionsschutzhandel, Transport, Verkehr und Tourismus geben.

Gerade weil eine ökologische Wirtschaft, bei der niemand schlechter leben muss als zuvor, vielfältige Herausforderungen mit sich bringt, würden diese neuen institutionellen Rahmenbedingungen erhebliche Innovations- und Beschäftigungspotenziale freisetzen. Unternehmen, die neue Technologien, Waren und Dienstleistungen rund um die neue ökologische und informatorische Konzepte des Wohnens, der Mobilität, des Shoppens, der Ernährung und des übrigen Konsums anbieten, haben dann bessere Bedingungen als je zuvor, die Position z.B. der Öl- und Gasindustrie, der Atomindustrie und anderer Großindustrien anzugreifen, die sich widersetzen. Dann würden wirtschaftliche Großprojekte finanziert und gebaut, die bisher als unrealistisch gelten, weil sie sich im Lichte der unter den gegenwärtigen Bedingungen erzielbaren Preise nicht rechnen – und die dafür bereit gestellten Ressourcen würden anderen Branchen, die dann zum alten Eisen gehören, entzogen werden. Davor haben viele Angst.

Scheitert der Klimagipfel von Kopenhagen oder beschränkt sich die Vereinbarung auf eine „kleine“ Lösung, profitieren umgekehrt die Wirtschaftsakteure, die ihr Einkommen aus dem Abbau, dem Handel und der Verwertung fossiler Brennstoffe beziehen, ihre Aktionäre, die Eigentümer an Fundstellen fossiler Brennstoffe, sowie Nationalstaaten, die ihre Steuern wesentlich aus diesen Wirtschaftszweigen beziehen oder in erheblichem Umfang vom Zugang zu Energie aus diesen Quellen abhängig sind. Ihre marktdominierende Stellung würde auf Jahrzehnte verfestigt. Für die ökologische Bewegung, die von Überflutung bedrohten Inselstaaten, die ärmsten Länder, aber auch für die nachfolgenden Generationen hier bei uns würde ein Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen ein Rückschlag der Entwicklung um Jahrzehnte bedeuten. Im Fall einer „kleinen“ Lösung oder gar eines Scheiterns des Kopenhagener Klimagipfels würden herausfordernde Unternehmen in ihren Bestrebungen, ökologische Technologien, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, eingeschränkt. Vom steigenden Meeresspiegel bedrohte Inselstaaten müssten für ihre Bevölkerungen neues Land sichern. Die Lage der Menschen in den ärmsten Ländern würde sich verschlechtern, und Hungersnöte und ökologische Katastrophen wären prädestiniert. Schwellen- und Industrieländer bekämen mehr Klimaflüchtlinge, und hierzulande hinterließen die Erwerbstätigen der Gegenwart die jüngeren Generationen stegig steigende Folgekosten einer nicht-nachhaltigen Wirtschaft. Man möchte Generationenkonflikte nicht heraufbeschwören und erst recht nicht herbeiwünschen, aber falls die wohlhabenderen Staaten die historische Chance Kopenhagen ungenutzt verstreichen lassen, dürften sie, wie die heutigen Proteste erahnen lassen, unausweichlich werden.

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Eine Antwort zu “Bringt der Klimagipfel von Kopenhagen neue Spielregeln für Märkte?

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