DGS08 Ad-hoc-Gruppe 34: Macht und Unsicherheit im neuen Netz

DGS-Kongresse bieten stets eine solche Fülle an Themen und Veranstaltungen, dass es praktisch unmöglich ist, mehr als ein Thema vernünftig zu verfolgen, so auch „Unsichere Zeiten„: Allein die Sektion Wirtschaftssoziologie war mit drei Veranstaltungen dabei. Dazu kamen die Sektionen Industriesoziologie und politische Soziologie, die ebensoviel Aufmerksamkeit verdient hätten, und die Netzwerkforschung, die sich jetzt als Arbeitsgruppe gegründet hat.

Sehr informativ fand ich die Veranstaltung „Was heißt heute Mediengesellschaft?“. Sie hat gezeigt, wie sehr Medien alle Lebensbereiche durchdringen und wie wir Medien in unserem Arbeits- und Alltagshandeln Medien einsetzen. Christiane Funken (Berlin) berichtete aus ihren empirischen Studien, wie die charakteristische Verwendung von Mails Onlinemedien durch massenhafte Verwendung einerseits und die für Organisationen charakteristischen Verwendungsweisen andererseits zu einer gravierenden ökonomischen, zeitlichen und kognitiven Belastung für Organisationen geworden ist. Jeder Mitarbeiter hortet Tausende von E-Mails und verbringt mehrere Stunden pro Tag mit der Abfassung von E-Mails. Wie Funken auf Nachfrage bestätigte, ist die E-Mail-Flut nicht allein den Spam-Massen geschuldet, die ein Spam-Filter aus dem Verkehr zieht. Vielmehr ist die in Organisationen verbreitete Nutzungsweise entscheidend. Mitarbeiter senden massenhaft E-Mails, um Kollegenkreise über ihre Aktivitäten zu informieren, in Leistungsevaluationen gut abzuschneiden und sich selbst möglichst gut gegen mögliche Schuldzuweisungen für Ereignisse des organisationalen Versagens abzusichern (mit CC, BCC). Michael Jäckel (Trier) diskutierte die Frage nach einer möglichen Mediatisierung oder Emanzipation des Publikums anhand der Aufhebung der eindeutigen Trennung von Sender und Empfänger mit Internet und Social Media. Die „Selbstorganisation“ des Internet definiert die Zukunft der Mediennutzung und des Publikums weit über die rein technischen Aspekte hinaus. Leider verpasst habe ich die Ad-hoc-Gruppe „Onlinedating – neue Wege der Partnerwahl„. Nicht zuletzt aufgrund der vergleichsweise niedrigen Markteintrittsbarrieren ist eine unüberschaubare Anzahl von Plattformen entstanden, auf denen in Deutschland Schätzungen zufolge ca, 6,5 Millionen Menschen nach losen Kontakten, Freundschaften, unverbindlichen sexuellen Abenteuern, festen Partnerschaften und Ehepartnern suchen. Aber Jan Schmidt berichtet ausführlich über die Ad-hoc-Gruppe Onlinedating und präsentiert seinen Vortrag über die Praktiken des Identitäts- und Beziehungsmanagements auf Social Networking Plattformen.

In der Ad-hoc-Gruppe „Macht und Unsicherheit im neuen Netz?“ haben wir „Social Software“, „Web 2.0“ und die dazugehörigen Verwendungsgemeinschaften in den Kontext des Kongressthemas Unsicherheit gestellt. Wir haben diskutiert, wer im neuen Netz den Ton angibt, wie das geschieht, mit welchen Unsicherheiten die Menschen dabei konfrontiert sind. Homo Sociologicus hat auch schon ausführlich zur Ad-hoc Gruppe berichtet, in der wir das neue Netz im Licht der unsicheren Zeiten sehr ernsthaft diskutiert haben.  Unser Publikum war klein, aber oho: Selten findet sonst man ein Forum, wo man nicht entweder Grundzüge der Soziologie oder Anwendungen des neuen Netz erklären muss, und folglich die Diskussionen ein gutes Niveau.

Zuerst hat Benedikt Köhler die neuen Formen des Wissensmanagements mithilfe von Bookmarks (Lesezeichen) und tags (Schlagworten) erläutert und seine Potenziale im Verhältnis zur herkömmlichen kategorialen Wissensorganisation etwa in Bibliotheken diskutiert. Benedikt hat soziotechnische Entwicklung von klassischen Kategoriensystemen hin zu Tagging-(Un-)ordnungen beschrieben. Vor dem Hintergrund der Theorie Reflexiver Modernisierung deutet Benedikt die WWWissensordnungen als zweitmoderne
Wissensordnungen. Wie die Diskussion ergab, stellen die von Prodnutzern geschaffenen Wissensordnungen im neuen Netz Unsicherheiten in erheblichem Ausmaß dar: Sie fordern Professionen heraus, es stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Qualität aufgefundener Information, aber auch Macht- und Eigentumsfragen.

Danach ist Lars Alberth die Frage nach der Hegemonie und der Repräsentation im Internet aufgeworfen. Lars ist dieser Frage am Beispiel der deutschsprachigen Blogosphäre gefolgt. Wer repräsentiert die Blogosphäre,  wie geschieht das, welche Rolle spielen Rankinglisten wie die A-List? Anhand der Analyse mehrer Diskussionen in Weblogs und auch von Printtexten zu Zustand, Status und Möglichkeiten der Blogosphäre hat Lars Alberth die Kämpfe um ihre hegemoniale Deutung analysiert. Dazu hat Lars die Diskussion zwischen Bloggern und Wissenschaftlern im ZKM vom Herbst 2005, die Projekte eines „linken Neoliberalismus“ (Mercedes Bunz) jenseits der Erwerbsbiographie (Lobo/Friebe) und die Debatte um das „Fakebloggen“ bzw. virale Marketing zum Parfüm „In2U“ von Calvin Klein aufgegriffen. Lars hat dem Blogmilieu kritisch auf die Tastaturen geschaut und Widersprüche zwischen dem Anpruch der Autonomie und Authentizität einerseits und der Einbettung des Internet und des Bloggermilieus in kapitalistische Strukturen andererseits – die sich manche Protagonisten der Szene ungern einzugestehen scheinen – aufgezeigt.

Kai-Uwe Hellmann hat sich das Mitmachweb 2.0 und der Produktion von „User generated content“ vorgenommen. Während sich die Bloggerszene kritisch distanziert zu privatwirtschaftlich geführten Unternehmen positioniert, sehen sich Unternehmen im neuen Netz mit Macht und Unsicherheit aus anderer Quelle konfrontiert: ihren Kunden. Die etablierte Machtasymmetrie erodiert, denn Web 2.0 ermöglicht und begünstigt eine Aktivierung der Eigeninitiative der Konsumenten, wie sie bisher unvorstellbar war.
Dieser Innovationsschub, bezogen auf den Fluchtpunkt Sozialisationseffekte, könnte
erhebliche Folgen für das Verhältnis von Unternehmen und Kunden haben. Unternehmen sehen sich unter wachsendem Erwartungsdruck, sich ihren Kunden gegenüber responsiv und transparent zu zeigen. Kunden erwarten von ihnen Kritikfähigkeit und symmetrische Aushandlungsprozesse und eine Bereitschaft zum Dialog, die sich mit den hohen Ansprüchen an Autonomie und Authenzität wird messen lassen müssen. Kai-Uwe antizipiert eine Unternehmenskulturrevolution 2.0, die keineswegs vor den Haupteingängen der Unternehmen Halt machen muss. Sie könnte unternehmensinterne Entscheidungsprozesse grundlegend renovieren und den Kontakt zwischen Kunden und Mitarbeitern grundlegend verändern.

Die Problematik und die Konstitution von Vertrauen beschäftigen mich schon seit einer Weile. Die „Initialzündung“ hatten Diskussion im privaten Bereich und das Buch „Trust – Reason, Routine and Reflexivity“ von Guido Möllering im Jahr 2006 gegeben wo der Fokus eher auf interorganisationalen Geschäftsbeziehungen lag. Aber fragt man Verwandte, Bekannte und Freunde , ob sie dem Internet trauen, bekommt man oft ein plattes „Nein“. Doch das undifferenzierte „Nein“ richtet sich auf das Internet in seiner Gänze und bleibt deshalb widersprüchlich. Auch nutzen dieselben Personen, mir ihr Misstrauen am Internet bekundet haben, selbst aktiv diverse  Onlinemedien und tätigen durchaus wirtschaftliche Transaktionen online. Die Haltung „ich traue dem Netz nicht“ mag in manchen Kreisen noch als Distinktionsmechanismus für Sektempfängen taugen, aber praxistauglich ist dieser Ansatz  nicht. Denn er lässt ja nur die Wahl, entweder ’naiv‘ alles mögliche mitzumachen und spontan alles Mögliche zu entäußern oder eben ganz auf soziale Beteiligung im Netz zu verzichten. Damit schließt man sich selbst von allen Vorzügen der Beteiligung an einem immer wichtigeren Bereich des sozialen Lebens aus. Aber das nicht-enden-wollende Gegeneinander zwischen der Medienberichterstattung und der Selbstverständlichkeit der Medienbenutzung der Szene bzw. der jüngeren Generation hat mich dazu angeregt, darüber nachzudenken, weshalb Vertrauen im Internet überhaupt problematisch und wie Vertrauen online konstituiert wird. Die nachfolgende Präsentation enthält paar kleine Überarbeitungen gegenüber der Vortragsversion und ist recht streng wissenschaftlich gehalten.

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5 Antworten zu “DGS08 Ad-hoc-Gruppe 34: Macht und Unsicherheit im neuen Netz

  1. Pingback: DGS-Kongress 2008 in Jena: Kompletter Presse- und Blogspiegel zum Soziologenkongress « homo sociologicus

  2. Merci. Ja, das war ein sehr spannender Vormittag.

  3. Jetzt hat Lars auch seine Präsentation vom DGS-Kongress in Jena online: „Wer spricht für die Blogosphäre?

  4. Liebe Frau Dr. Günther, danke für den klasse Überblick zu den aktuellen Web2.0/Soziologie-Schnittstellen..sehr gelungen!

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