Institutstag MPIfG – ein nicht-rankingtauglicher Eintrag und drei Fragen zum Wissenschaftsbloggen

Am 1. und 2. Oktober 2008 hielt das MPIfG Köln erstmals seinen Institutstag ab, eine Veranstaltung für Mitarbeiter, Ehemalige, Freunde und Förderer, die Raum für Reflexion bietet. Die Direktoren stellen ihre laufende Arbeit der Diskussion und Kritik durch Kommentatoren, und das Institut reflektiert seine Marschrichtung. Da es sich um eine Veranstaltung in einem geschützten Raum handelt, berichte ich hier v.a. mit Bezug auf bereits veröffentlichte Schriften. Zum Schluss beantworte ich drei Fragen, die mir in Reaktion von Forschern auf sozlog häufiger begegnet sind: 1.Was ist blogbar? 2. Ist Bloggen zum Schaden in Rankingbewertungen? 3. Ist Wissenschafts-PR noch zeitgemäß?

Die Frage nach der Exzellenz und die organisierte Unverantwortung

Der Institutstag des MPIfG erhielt seine Spannung durch einen Vortrag von Uwe Schimank, der aus einer Innenperspektive über das Vorgehen bei der Erstellung des Wissenschaftsrankings im Fach Soziologie – auch mit einem Seitenblick auf die andere Pilotstudie im Fach Chemie – berichtete, und einen Kommentar von Richard Münch, der der Kommission ebenfalls angehörte. Bisher hat die Studie des Wissenschaftsrats zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit von Fachdisziplinen nicht mehr als nur Pilotcharakter. Sie sind nicht unmittelbar mit Verteilungsfragen verknüpft. Allerdings folgen auf die Pilotstudien für die Fächer Chemie und Soziologie weitere Pilotstudien für andere Fächer, z.B für die Geschichtswissenchaften. Der Charakter des Rankings könnte sich also ändern: Auf „weiche“ Rankings, die nicht mehr als eine Positionsbestimmung einzelner Standorte und vielleicht Empfehlungen an Standorte zu ihrer Verbesserung enthalten, könnten „harte“ Rankings folgen, die sich monetär auswirken und unmittelbar an Verteilungsauseinandersetzungen geknüpft sind, und ohne Ansehen des Standortes bzw. der Institution, gleich ob es sich um Universitäten oder Forschungsinstitute handelt. Schimank informierte über Datenqualität, Datenbeschaffung, Zusammensetzung der Kommission, Strukturmuster der Konsensfindung, Zeitaufwand der Mitglieder und Ergebnisse. Die Ergebnistabelle enthielt eine markante Häufung bei der Note „Befriedigend“. Zudem merkte Schimankan, dass die Fachkommission die erbrachten Leistungen der Soziologie durchgängig etwas strenger beurteilt hat als die der Chemie. Dabei ließ er offen, ob dies durch die Leistungen oder durch die fachliche Struktur der Chemie und der Soziologie begründet sei. Münch hat die Beurteilungsergebnisse nach Typen wissenschaftlicher Schriften einer Sekundäranalyse unterzogen und herausgearbeitet, dass Artikel in Fachzeitschriften im Beruteilungsverfahren durchgängig bessere Ergebnisse erzielten andere Schriften. Daraus leitete Münch die Empfehlung zur Abfassung von Beiträgen in Fachzeitschriften mit peer review und letzlich die Definition von Exzellenz ab: Exzellent ist, wer zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften mit peer review publiziert. Die einzig geeignete Maßnahmen zur Standortsicherung ist demnach die Abfassung von Fachzeitschriftenartikeln, andere Leistungen wie z.B. Wissenstransfer und Herstellung von wünschenswerter Öffentlichkeit werden als nachrangig erachtet. Die Diskussion hat mich erwartungsgemäß enttäuscht hinterlassen, da die Differenzen bemerkenswert gering blieben: Schimank begründete seine Beteiligung in der Beurteilungskommission damit, dass die Beurteilung durch Fachvertreter das kleinere Übel sei als die noch kritikwürdigere Beurteilung des CHE. Immerhin sah er Anlass zu einer Begründung. An Münchs Darstellung stört mich, dass er Prozess, Ergebnis und Konsequenzen der Exzellenzinitiative als Tatsache präsentiert, die extern, dinghaft, zwingend und unabänderlich auf den Einzelnen einwirkt. Dies tut er, als ob er selbst als beurteilender Wissenschaftler das von ihm kritisierten Regime der Exzellenz nicht selbst mit verfestige, und als ob er für die Konsequenzen der eigenen Anpassungsleistung, etwa in Entscheidungsprozessen in Kommissionen und bei der eigenen Amtsausübung keine Verantwortung für die Arbeitsbedingungen des Nachwuchses und das Erscheinungsbild der Wissenschaft trage. Besonders betroffen macht mich Münchs Empfehlung der Anpassung im Kreis von Wissenschaftlern im Kontrast zu seiner an den Nachwuchs gerichteten Empfehlung einer wissenschaftlichen Revolution in der letzten Frage des Telepolis-Interviews. Ein aktives Widersetzen ist das Mindeste, was Nachwuchs und Studierende von den Professoren erwarten dürfen. Profilierte Wissenschaftler, die ihr eigenes Heil in der Anpassung an Vorgaben politischer Steuerung suchen, sich bei Hinweis auf offenkundige Missstände auf die Faktizität der Universitätswelt, die Verwaltung, die Rankings oder politische Steuerung zurückziehen und die Rhetorik der Exzellenz selbst verwenden, verspotten ihre Herausforderer, das „akademische Proletariat“, zu dessen Entstehen sie mit beigetragen haben, und natürlich auch die Studierenden (die ja in vielen Bundesländern € 500 Studiengebühren schon im Erststudium entrichten).

Neue Wirtschaftssoziologie und politische Ökonomie

C. Offe, Lord R. Dahrendorf, J. Beckert, W. Streeck

C. Offe, Lord R. Dahrendorf, J. Beckert, W. Streeck

Am 2. Tag präsentierten Wolfgang Streeck und Jens Beckert aktuelle Hauptthemen und Hauptfragen der Gesellschaftsforschung am MPIfG. Dabei, so die Hauptaussage, soll Gesellschaftsforschung als Erforschung von Wirtschaft und Gesellschaft des modernen Kapitalismus betrieben werden. Dazu sollen neue  Wirtschaftssoziologie, die in den Kernbereich ökonomischer Strukturen und Prozesse vordringt, und eine institutionalistisch ausgerichteten politischen Ökonomie, die zeigt, dass Kapitalismus nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine politische, rechtliche und zivilgesellschaftliche Formation ist, eng zusammen arbeiten. Wie das MPIfG zu dieser Ausrichtung gekommen ist? Durch die langjährige Beobachtung der Entwicklungen (1) dass die Steuerungsfähigkeit des Nationalstaats bei zugleich wachsender Bedeutung „selbstregulierender“, „freier“ Märkte nachgelassen hat (2) durch eine intensivierte Befassung mit kulturellen Sinndeutungen, Symbolen und normativen Fragen, (3) einer Umorientierung von Policy hin zu Politics, (4) explizite Einbeziehung historischer Entwicklungen für ein besseres Verständnis des gegenwärtigen Kapitalismus.

Die Marschrichtung ist durch drei Postulate bestimmt: (1) Märkte und wirtschaftliches Handeln sind soziale (Makro-)Strukturen. Daraus Wirtschaftsleben hat in seiner Gänze sozialen Charakter. Die Aufmerksamkeit muss auf nicht-wirtschaftliche Wertorientierungen und politische Konflikte in wirtschaftlichen Beziehungen gerichtet werden. Effizientes Operieren und ökonomische Zielerreichung sind von institutionellen, sozial-strukturellen und kulturellen Voraussetzungen abhängig. (2) In Abgrenzung zur Institutionenökonomie begreift das MPIfG das Entstehen sozialer Ordnung nicht als Einigung rational nutzenmaximierender Akteure in vertragstheoretischen Begriffen, sondern betrachtet Institutionen als kontingente Ergebnisse sozialer und politischer Konflikte zwischen Akteuren, die durch eine bestimmte Kultur geprägt sind. (3) In Abgrenzung zur Theorie der rationalen Wahl, die ausgehend vom Modell des Homo Oecomicus zu irreführenden Schlussfolgerungen über Märkte und soziale Ordnungen gelangt, gehen Sozialwissenschaftler am MPIfG von der Annahme aus, dass menschliches Handeln fundamental durch kulturelle Werte, institutionelle Regeln, sozial gedeutete Ineressen, soziale Systeme der Klassifikation und Positionen in Netzwerken bestimmt sind, die eine Eigenlogik aufweisen. Daraus ergeben sich vier Hauptthemen der Forschung: (1) Wie ist das rationale ökonomische Handeln beschaffen? Was macht seine Natur aus? (2) Wie und wodurch werden Märkte konstituiert? (3) Wie enstehen und wandeln sich Institutionen? (4) Wie ist das Verhältnis von Kapitalismus und Demokratie beschaffen, und wie wandelt es sich? [Nachzulesen im MPIfG Working Paper „Economic sociology and Political Economy“ von Wolfgang Streeck und Jens Beckert].

C. Deutschmann, F. X. Kaufmann

C. Deutschmann, F. X. Kaufmann

Großprojekte, die sich im „Flow“ befinden, erfahren typischerweise Anerkennung für Größe und Format des Vorhabens, aber auch Kritik für die Unvollkommenheit ihres aktuellen Zwischenstands, diesmal von Lord Ralf Dahrendorf, Claus Offe, Christoph Deutschmann und Franz Xafer Kaufmann und der lebhaften Diskussion im Publikum.

Mein Kommentar zielt auf die Relevanz dieses Projekts und das Defizit an Medienaufmerksamkeit: Mir hat imponiert, wie die re:publica im April 2008 Aufmerksamkeit für die Thematik des aktuellen Internet erzeugt hat und wie vollständig die Veranstaltung von den Organisatoren und Teilnehmern im Netz dokumentiert wurde. Andererseits betrifft das hier präsentierte Forschungsprogramm Menschen, Organisationen, Intstitutionen und Gesellschaften so fundamental, dass sich die Frage aufdrängt: Wo bleiben denn hier die Medien? Auch Netz mit seiner jungen 26-jährigen Historie seit Erfindung des TCP-IP Protokolls ist ein soziales Ding und ein kulturelles Artefakt. Wie und warum es ist wie es ist, begreift man nur, wenn man sich seine Einbettung in kapitalistischen Gegenwartsgesellschaften klar macht. Das Forschungsprogramm des MPIfG ist mindestens so aktuell, und mindestens so brisant, und betrifft Milliarden von Menschen. Da die Menschen die Unsicherheiten ertragen, die ihnen infolge der Dynamik von Kapitalismus und Demokratie entgegenschlagen, können sie von den führenden Köpfen der Soziologie Deutungsangebote und Orientierungshilfen erwarten. Und zwar auf allen Kanälen: Fachzeitschriften, Büchern, Print, Funk und Fernsehen bis hin zu Weblogs und Social Media.

Drei Fragen mit Blick auf den DGS-Kongress:

1.Was ist blogbar? Jeder Wissenschaftler mit seiner Präsentation in einem öffentlichen Forum wie dem anstehenden DGS-Kongress, einschließlich seiner Publikationen. Allerdings bleiben Blogbeiträge über Wissenschaftler auf die Arbeit die sachliche Auseinandersetzung beschränkt. Der Charakter der Veranstaltung ist selbstverständlich auch blogbar.

2. Ist Bloggen zum Schaden in Rankingbewertungen? Mir begegnen gelegentlich Aussagen wie: „Wenn wir bloggen würden, würden wir kein Forschungsranking mehr überstehen“. Das bestreite ich. Ausdrücklich wende ich mich auch gegen Äußerungen, die Weblogs in der Wissenschaft als ’neue Zumutung‘ und Zeitverschwendung charakterisieren. Damit wird ein fundamentales Missverständnis dieses Mediums ausgedrückt und außer Acht gelassen, dass das Internet nicht nur die Möglichkeit der Mitteilung von Forschungsergebnissen, sondern auch die Einbeziehung von Gesellschaft in allen Stufen und Phasen eines Forschungsablaufs zulässt. Weblogs, Wikis und andere Social Media sind Arbeitsmittel. Ein Wissenschaftler, der nicht nur über Ergebnisse informiert, sondern auch Fragen aufwirft, Wissen austauscht und Diskussionen anstößt, erweitert seine Klaviatur erheblich, ebenso eine Forschergruppe oder ein Institut.

3. Ist PR-Kommunikation in der Wissenschaft noch zeitgemäß? Nein, wenn sich PR auf One-Way-Kommunikation, Informierung und Belehrung von Öffentlichkeit beschränkt und dies mit der Logik von Wissenschaftsrankings legitimiert. Denn wie zuvor gezeigt wurde, sind sind die Standards für das, was als Leistung honoriert wird, durchaus anfechtbar. Weshalb greift PR die Macher der Rankings nicht an, wenn Impact in Fachjournalen viel stärker gewürdigt wird als die Stimme der Wissenschaft in der Öffentlichkeit? Wissenschaft wird von Steuergeldern bezahlt und ist für die Öffentlichkeit bestimmt! Ohne Weiteres könnte ich für die Soziologie in derselben ironischen Tonlage schreiben, die Thomas Knüwer, Journalist beim Düsseldorfer Handelsblatt, für sein Berufsfeld wählt. Da jedoch Abfälligkeit und Geringschätzung aus Medienhäusern gegenüber der Internetkultur und ihrer Autoren immer wieder traurige Höhepunkte erreicht, die er und andere immer wieder ironisch kommentieren, die Qualität der Arbeit nicht angemessen gewürdigt werden könnte und die Zielsetzung einfach sein muss, dass Wissenschaft die Öffentlichkeit bekommt, die sie verdient (und umgekehrt), bevorzuge ich eine sachliche Tonlage.

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