„Lost in Deutschland“ ist dieser freundliche Zeitgenosse aus dem Vereinigten Königreich, und er bietet für „Der Westen„, das Portal der WAZ-Mediengruppe, ein schönes und spannendes journalistisches Videolog aus meiner geliebten Heimatregion an. Doch fallen mir beim Thema Lost in Deutschland doch noch ein paar andere Punkte ein als Fernmeldetürme, Städtebahnen und deutsches Brot. Da stehe ich also im Reisezentrum des Düsseldorfer Hauptbahnhofs in der Schlange wartender Fahrgäste, die ohne Weiteres hinzunehmen bereit sind, gut 30 Minuten in zwei Reihen anzustehen, während die Fahrgäste der ersten Klasse und hohen Punktekontos unmittelbar bedient werden. Hinter mir ein Reisender aus Singapur. Da kommt das Gespräch auf, weshalb man sich in die Schlange stellt, wo es doch die Automaten gibt. Bei mir war’s die Tatsache, dass zwei Personen gemeinsam reisen und den für sie jeweils günstigsten Tarif bekommen wollten, die Eingabe ins Menü ein Weilchen gedauert hätte und ich gern bar zahlen wollte. Von den Kollegen, die einem mit dem Menü behilflich sind und auch mal Geld wechseln können, war im Augenblick niemand in Sicht. Der Fahrgast aus Singapur merkte nur an, dass die Automaten der Bundesbahn nur die deutsche Sprache anbieten. Da schaut man sich in der Schlange um und stellt fest, dass vor allem die älteren und hochbetagten Reisenden, die kränkeren, die ärmeren Menschen und viele Ausländer anstehen. Und nun die Bahnpreisreform, die am 14. Dezember mit saftigen Preiserhöhungen in Kraft tritt: Verteuerung der Bahncard um 3,9 Prozent, Verteuerung der Bahnfahrten um 3,9 Prozent. Und jetzt noch der Bedienzuschlag von € 2,50 für Buchungen per Telefon und am Schalter. Hier geht es nicht nur darum, dass der Bedienzuschlag das Gegenteil von Serviceorientierung bedeutet. Hier geht es nicht allein darum, die grenzenlose Dienstleistungsorientierung der Bahn zum Ausdruck zu bringen. Auch geht es nicht darum, den Fahrgast zum arbeitenden Kunden zu erziehen, der durch Eingabe seiner Buchung zum Einsparen des Servicepersonals beiträgt. Das ist ja durch das Onlineangebot – auch ohne Sanktionen – bereits erreicht worden, wie dieses Zitat aus der SZ belegt, indem die Bahn auf den Vorwurf der Verbraucherfeindlichkeit reagiert:
Die Bahn entgegnete, dass inzwischen knapp 60 Prozent der Fahrkarten im Internet oder am Automaten gekauft würden. Also ändere sich für die Mehrheit der Kunden bei der Zuschlagsfreiheit nichts.[SZ]
Zurück zuhause bin ich ans Netz geeilt und habe dies gefunden: Das Portal der Bundesbahn wird auf deutsch, englisch, französisch, spanisch, niederländisch, italienisch, polnisch und türkisch angeboten. Russisch, arabisch und asiatische Sprachen sind nicht vertreten. Wer eine der angebotenen sieben Sprachen in Wort und Schrift beherrscht und außerdem mindestens eine EC- oder Kreditkarte verfügbar hat oder Lastschriften veranlassen kann, kann sein Ticket online lösen. Nicht so, wer keine dieser sieben Sprachen spricht, wer nicht ins Netz kommt (vor allem alte und hochbetagte Bürger, Analphabeten) und Personen, die nur in bar bezahlen können. Ein Unternehmen, das nach wie vor zu 100 Prozent dem Staat gehört, diskriminiert mit seiner Preispolitik sozial benachteiligte Gruppen. M.E. ist das ein Fall für die Bundesnetzagentur. Seit 2006 ist die Bundesnetzagentur auch für den Eisenbahninfrastrukturmarkt zuständig. Wir dürfen geeignete Regulierungen erwarten, um Wettbewerb zu bekommen, wo Wettbewerb wünschenswert ist und Monopolanbieter ihre dominierende Stellung gegen Verbraucherinteressen ausnutzen.
P.S. Nur in einem Land, in dem Revolutionäre sich eine Fahrkarte kaufen, bevor sie einen Bahnhof stürmen, stellen sich wohl Raucher in gelb markierte Zonen (im Freien). Wenngleich ich von dieser Regelung selbst nicht betroffen bin, weckt das äußerst ungute historische Assoziationen. Es gibt also noch viele – auch weniger gefällige – Themen für Lost in Deutschland.